Projekt BÄRENstark!
Arbeitsgedächtniskompetenzen bei Lernschwierigkeiten
Das Projekt BÄRENstark! beschäftigte sich mit den Ursachen von Lernschwierigkeiten in den grundlegenden Kompetenzen Lesen, Rechtschreiben und Rechnen.
Das Projekt BÄRENstark! untersuchte die Entwicklung des Arbeitsgedächtnisses von Kindern mit verschiedenen Lernschwierigkeiten. Im Fokus standen isolierte Lernschwierigkeiten im Lesen, im Rechtschreiben oder im Rechnen sowie kombinierte Lernschwierigkeiten. BÄRENstark! differenzierte dabei zwischen sog. Lernstörungen und Lernschwächen. Lernstörungen sind nach dem internationalen Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation dadurch gekennzeichnet, dass die schulischen Minderleistungen eine deutliche Diskrepanz zur allgemeinen Lernfähigkeit des Kindes aufweisen (sog. IQ-Diskrepanz): Die Leistungen des Kindes fallen also deutlich schwächer aus als auf Basis des IQs zu erwarten wäre. Unter dem Begriff der Lernschwäche werden Lernprobleme zusammengefasst, bei denen die Abweichung zwischen IQ und Minderleistung geringer ausfällt. Als Vergleichsgruppe wurden auch Kinder in die Studie aufgenommen, die keine Schulleistungsprobleme zeigten. Alle Kinder befanden sich zu Beginn der Studie in der dritten Klasse. Über zwei Jahre wurden sie in halbjährlichen Abständen hinsichtlich ihrer Schulleistungen und ihrer Arbeitsgedächtnisfunktionen untersucht.
Das Projekt ging unter anderem folgenden Fragestellungen nach:
- Lassen sich Kinder, die von unterschiedlichen Lernstörungen betroffen sind, anhand spezifischer Arbeitsgedächtnismuster voneinander abgrenzen?
- Lassen sich systematische Unterschiede im Entwicklungsverlauf des Arbeitsgedächtnisses zwischen Kindern feststellen, die ihre Lernstörungen erfolgreich überwinden und solchen, denen dies nicht gelingt?
Die genauere Kenntnis der störungsspezifischen Beeinträchtigungen und ihrer Entwicklungsverläufe ermöglicht eine eindeutigere Diagnostik und kann mittelfristig zur Entwicklung wirksamer Förderprogramme beitragen.
BÄRENstark! wurde als Verbundprojekt RABE mit den Universitäten in Frankfurt, Hildesheim und Oldenburg realisiert.
Ausgewählte Ergebnisse
BÄRENstark! hat sich unter anderem mit Fragen zur Prävalenz und zur Differentialdiagnostik von Lernschwierigkeiten beschäftigt.
- Wie häufig treten Lernschwierigkeiten in der Grundschule auf? BÄRENstark! hat aktuelle Prävalenzraten zum Auftreten von Lernschwierigkeiten in der Grundschule erhoben: Es wurden die Lese-, Rechtschreib- und Rechenfertigkeiten von 2195 Grundschülern aus unterschiedlichen Bundesländern mithilfe von standardisierten Schulleistungstests untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass nahezu ein Viertel aller Kinder (23.3 %) in einem oder in mehreren Schulleistungsbereichen Lernschwierigkeiten aufweisen. Etwas mehr als die Hälfte der Kinder mit Lernschwierigkeiten erfüllt die diagnostischen Kriterien für eine schulische Teilleistungsstörung nach dem internationalen Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (ICD 10). Diese Zahl der Kinder, die von einer Teilleistungsstörung (13.3 %) betroffen sind, liegt deutlich über der bisher angenommenen Prävalenzrate von 3% bis 8%. Die in der ICD-10 nicht gesondert aufgeführte isolierte Lesestörung tritt dabei genauso häufig oder häufiger auf als andere im ICD-10 aufgeführte Lernstörungen.
- Differentialdiagnostische Relevanz des Arbeitsgedächtnisses für Kinder mit Lernstörungen: Ein wesentliches Ziel von BÄRENstark! bestand darin, die störungsspezifischen Arbeitsgedächtnisprofile zu untersuchen. Es wurde der Frage nachgegangen, ob unterschiedliche Lernstörungen auch mit unterschiedlichen Arbeitsgedächtnisprofilen einhergehen. Die in diesem Bereich bereits vorhandenen Forschungsergebnisse von Untersuchungen zur Lese- und Rechtschreibstörungen konnten von uns vertieft und erweitert werden: Während Kinder mit Leseschwierigkeiten primär zentral-exekutive Arbeitsgedächtnisbeeinträchtigungen zeigen, gehen Rechtschreibschwierigkeiten deutlicher mit phonologischen Speicherdefiziten einher. Dieses Ergebnis zeigt, dass es wichtig ist, zwischen Lernschwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben zu trennen und nicht – wie in vielen deutschen Studien bisher üblich – Auffälligkeiten in beiden Leistungsbereichen als Varianten der selben Lernstörung aufzufassen.
- Die Bedeutung der IQ-Diskrepanz: Arbeitsgedächtnisunterschiede zwischen Kindern mit Lernschwäche und Lernstörung: Seit langem ist das IQ-Leistungsdiskrepanzkriterium und somit die Unterscheidung zwischen Lernschwächen und -störungen umstritten, da bisher trotz intensiver Bemühungen keine ätiologischen und symptomatischen Unterschiede zwischen diesen Kindern aufgedeckt wurden. Über Unterschiede in den Arbeitsgedächtnisbeeinträchtigungen ist im deutschen Sprachraum hingegen kaum etwas bekannt. Daher hat BÄRENstark! zusätzlich zu Kindern mit Lernstörungen auch Kinder untersucht, die zwar vergleichbar schwache Schulleistungen aufwiesen, aber darüber hinaus die IQ-Diskrepanz nicht erfüllten. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Arbeitsgedächtnisfunktionen von Kindern mit Lernschwächen und Lernstörungen meist vergleichbar ausgeprägt sind. Diese Befunde stellen die Nützlichkeit des IQ-Diskrepanzkriteriums in Frage und unterstützen nicht die Auffassung, schulischen Minderleistungen nur dann einen Störungswert beizumessen, wenn sie in deutlicher Diskrepanz zum allgemeinen Lern- und Leistungspotenzial des Kindes stehen.
Ausgewählte Publikationen
- Brandenburg, J., Klesczewski, J., Fischbach, A., Schuchardt, K., Büttner, G., & Hasselhorn, M. (2014). Working memory in children with learning disabilities in reading versus spelling: searching for overlapping and specific cognitive factors. Journal of Learning Disabilities, 48, 622–634. doi:10.1177/0022219414521665
- Fischbach, A., Schuchardt, K., Brandenburg, J., Klesczewski, J., Balke-Melcher, C., Schmidt, C., Büttner, G., Grube, D., Mähler, C., & Hasselhorn, M. (2013). Prävalenz von Lernschwächen und Lernstörungen: Zur Bedeutung der Diagnosekriterien. Lernen und Lernstörungen, 2, 65–76.
- Klesczewski, J., Brandenburg, J., Fischbach, A., Grube, D., Hasselhorn, M., & Büttner, G. (2015). Working memory functioning in children with poor mathematical skills: Relationships to IQ–achievement discrepancy and additional reading and spelling difficulties. Zeitschrift für Psychologie, 223, 83–92. doi:10.1027/2151-2604/a000206